malerei - grafik
Aktmalerei
oder
die Liebe zum weiblichen Geschlecht
Auf mehr als dreißig Jahre Arbeit als freischaffender Künstler kann Peter Handel mittlerweile zurückblicken, und nach wie vor scheint sein Kontingent an Bildideen nicht erschöpft zu sein. Geprägt von der Geisteshaltung und der daraus resultierenden Bildersprache der amerikanischen Fotorealisten der siebziger Jahre, die forderten, die visuelle Wirklichkeit des Alltags genauestens zu registrieren und jedes Detail, sei es vom Menschen oder vom Gegenstand, gleichberechtigt bildwürdig in Szene zu setzen, ohne dabei Emotionen anzusprechen, erweiterte Handel sein bildnerisches Spektrum von Beginn an genau um diesen Aspekt. Denn bereits in seinen Anfängen hatte er sich von den malerischen Möglichkeiten faszinieren lassen, die es ihm gestatteten, unterschiedliche Ebenen der Wirklichkeit - realistische und idealistische - einander gegenüberzustellen, sie neben - oder hintereinander zu montieren, Ähnliches zu Ähnlichem zu gesellen oder aber Gegensätzliches in scharfen Kontrast zueinander zu setzen.
Eine Spannung zwischen diesen eigentlich grundsätzlich konträren Wirklichkeitsebenen zu erzeugen und auszubalancieren, wird für Handel zu einem zentralen Thema. So lässt er zwei verschiedene Bereiche aufeinandertreffen, grenzt beispielsweise hyperrealistische Feinmalerei unvermittelt ab gegen großzügige Flächen bewegten Pinselstrichs, teilt diese dabei etwa durch Fensterrahmen oder Türzargen als gemalte Vertikale, trennt den Bildträger aber auch durch eine veritable Senkrechte, konzipiert das Gemälde vielfach als Diptychon. Inhaltlich betrachtet, vermitteln die hartrealistischen, detailliert ausgearbeiteten Partien etwas Durchdachtes, Kontemplatives, das durch etwas komplett gegensätzlich Empfundenes erweitert wird - raumgreifende, monochrome oder aber leuchtend farbige Kompositionen von Strukturen in lebendiger, spontan erscheinender Pinselführung, die etwas Gegenständliches allenfalls andeuten.
Die unterschiedlichen Realitätsebenen in ihrer Diskrepanz zueinander bildlich auszuloten, hatte Peter Handel schon gleich zu Beginn seines künstlerischen Werdegangs gereizt. Ausgangspunkt waren zunächst Fotografien aus den Printmedien. Schwarzweiß-Fotos etwa, aus Tageszeitungen herausgerissen, dienten als Vorlage für die Zeitungsbilder. Ein betont flüchtiger Pinselstrich, verwischte Konturen oder das grobe Aufrastern der Fotovorlage erzeugen einen diffusen, unbestimmten Eindruck, der die Vergänglichkeit des tagesaktuellen Geschehens unterstreicht. Gleichwohl hat der vergangene Moment wenigstens für einen kurzen Augenblick Bestand, denn der Künstler hatte ihn als Schnappschuss für bildwürdig befunden und dann, verfremdet strukturiert, in fast monochromer Farbgestaltung als Gemälde festgehalten.
Ebenso verhält es sich mit den Fernsehbildern, die das laufende Bild, verzerrt und farblich verändert, für eine Sekunde anhalten. Beherrschend ist jetzt hier die grelle, satte, aber auch transparente Farbigkeit, entstanden durch eigene fotografische Experimente, etwa durch Übersteigerung der Farbwirkung nach knapper Unterbelichtung des Films oder Verschärfung des Lichtkontrastes. Dass die Fotografie in Peter Handels gesamtem Werk eine entscheidende Rolle spielt, zeigt sich nicht nur in ihrer Verwendung als Vorlage zur Bildkomposition, sondern auch in ihrem Erscheinen in Form eines Trompe-I'oeils, eines die Realität frappant vortäuschenden Bildgegenstandes, wenn Papierabzüge oder Polaroids mit transparentem Klebestreifen an der gleichfalls nur gemalten Atelierwand oder vor einer imaginären Wolkenkulisse gefestigt sind. Die Idee, die Fotografie als Bild vor dem Bild optisch einzusetzen, hatte Handel schon früh, als er sich malerisch mit dem weiblichen Körper auseinanderzusetzen begann und für ihn neben Themenbereichen wie den bewegten Medienbildern, dem Stilleben oder dem Portrait die Aktmalerei zu einem zentralen Thema wurde. Anlass hierzu sind ursprünglich diverse Pin-ups aus der Werbung und vor allen Dingen aus gängigen Herrenmagazinen gewesen, deren Modelle sich offensiv dem Betrachter präsentieren und neugierige Blicke auf die nackte Haut zulassen.
Zwar immer noch fasziniert von der makellosen, aber auch stereotypen Erscheinung des medialen Aktmodells, wendet sich Handel später mehr und mehr weg vom Klischee hin zum realen Gegenüber und erforscht dessen sinnliche Präsenz in Blick, in seiner Haltung, Gestik und Bewegung. Die erotische Ausstrahlung der wirklichen, unbekleideten Schönheit wird durch die Malerei nun spürbar gemacht.
Hauptaugenmerk liegt jetzt auf der bis ins kleinste Detail beobachteten Hautoberfläche und Beschaffenheit des Haares. Einfallendes Licht lenkt den Blick zu subtil abgetönten Licht- und Schatteneffekten, zu Fältchen und feinsten Härchen, die die Haut als Membran erscheinen lassen, so lebendig, als würde sie atmen. Eine Art gespannte Ruhe überträgt sich auf diese Weise auf den Betrachter, dem das Aktmodell wie eine lebende Skulptur erscheinen mag, die für einen kurzen Moment in der Bewegung innehält.
So posiert auch das farbige Modell Kathi vor hellem, unbestimmten Hintergrund als Rückenakt, in klassischem Kontrapost stehend, das Spielbein - wie unentschlossen - leicht gebeugt und den Blick - wie abwesend - gesenkt. Den direkten Blickkontakt sucht man vergebens. Nur selten ermöglicht ihn der Künstler; trotz größtmöglicher optischer Annäherung an das Idealbild männlicher Wunschvorstellungen entziehen sich die teils überlebensgroßen Schönheiten durch Mimik und Körpersprache einem gedanklichen Besitzergreifen - sie bleiben unerreichbar.
Vollends zur Illusion werden die Aktmodelle dann im Licht des Monitors. Lange schon hatte Peter Handel verschiedene Lichtsituationen im Atelier nachgestellt - warmes Kunstlicht, fahles Tageslicht oder gleißendes Neonlicht, was eine anheimelnde, nüchterne oder unwirkliche Atmosphäre schafft. Allein Kathis Inkarnat schimmert im kühlen Lichteinfall nicht mehr kupfer- bis mahagonifarben, sondern oliv- bis messingfarben. Auch das Modell Lisa erscheint in kalter Neonbeleuchtung farblich verfremdet. Die unbekleidete junge Frau wird auf dem Boden sitzend von der Seite gezeigt, den Kopf vornüber geneigt, wodurch das lockige Haar auf die angezogenen Knie fällt. Den Rücken wölbt sie dem Schlaglicht entgegen wie jemand, der wohlige Wärme genießt, sich aber gleichzeitig vor allzu grellem Licht duckt. In zweierlei Hinsicht lässt sich auch der Bildtitel auslegen - der Monitor kann die blendende Lichtquelle sein, zugleich aber auch der Bildschirm, über den die Szene zu flimmern scheint. Türkisblaue Fehlfarbigkeit und verwischte pink-violette Farbverzerrungen weisen darauf hin und entrücken das Modell medial in die Ferne.
Im selben Moment verweisen die optisch zwischengeschalteten Medien temporär auf die Gegenwart, verraten etwas vom Zeitgeist, den in anderer Form auch schon die Bilder der vergangenen Jahre erahnen ließen. Weitere Facetten sind zur Vielfalt der realistischen Bildauffassungen hinzugekommen, und wieder einmal wird deutlich, dass Peter Handel die Realität nicht als Ziel, sondern als Quelle seiner Bildideen sieht.
Ursula Vethacke, M. A.